"Wir werden neue Formate, Dienstleistungen und Geschäftsmodelle erleben"
GCB FutureTalks #8 mit Stefan Rief
Als Leiter des Forschungsbereichs Organisationsentwicklung und Arbeitsgestaltung am Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) in Stuttgart, befasst sich Stefan Rief unter anderem im Rahmen des Innovationsverbundes Future Meeting Space in Zusammenarbeit mit dem GCB German Convention Bureau e.V. mit den Herausforderungen und Zukunftsszenarien der MICE-Branche. In einem Interview mit Matthias Schultze gibt er Einblicke in die tiefgreifenden Veränderungen während der Krise und die nachhaltige Nutzung von virtuellen Tools.
Matthias Schultze: Wie bewertest Du die andauernde Corona-Pandemie und ihre wirtschaftlichen Folgen?
Stefan Rief: Die Corona-Pandemie ist für unsere Generationen ohne Beispiel. Nach über zehn Jahren stetigen Wirtschaftswachstums, zunehmender Internationalisierung und steigendem Wohlstand in fast allen Teilen der Welt steht das Wirtschaftsleben aktuell nahezu still.
Ganz besonders betroffen ist natürlich die MICE-Industrie. Sie ist abhängig vom Zusammenkommen der Menschen und leidet daher umso stärker unter den aktuellen Reise- und Alltagsbeschränkungen. Zudem kann im Moment niemand seriös voraussagen, wann die Pandemie überwunden sein wird oder wie schnell sich Wirtschaft und Gesellschaft davon erholen werden.
Matthias Schultze: Siehst Du in dem durch das Coronavirus beschleunigten Digitalisierungs-Boom ein Umdenken in der Gesellschaft?
Stefan Rief: Ich bin mir sicher: Für die MICE-Branche beginnt mit der aktuellen Krise eine neue Zeitrechnung. Millionen Menschen lernen gerade in einem Crash-Kurs von zu Hause aus, mit virtuellen Werkzeugen umzugehen. Dadurch verändert sich unsere Art der Kommunikation. Dies ist einerseits der situationsbedingten Notwendigkeit einer schnelleren Abstimmung geschuldet. Anderseits lernen wir aber auch neue Wege, um virtuell Kundennähe herzustellen.
Zudem nutzen wir aber auch die eingesparten Pendel- und Reisezeiten für die Kommunikation mit Kollegen und Kunden und genießen die einfache und spontane Verfügbarkeit von Ansprechpartnern. Natürlich möchte keiner von uns länger oder dauerhaft in dieser extrem verteilten Arbeitssituation verharren und ich bin mir sicher, dass wir nach der Pandemie sogar kurzfristig ein übersteigertes Bedürfnis nach persönlicher Begegnung erleben werden. Je länger die Situation aber andauert, desto mehr der neuen Elemente werden wir auch nach dem Re-Start in unsere zukünftige Arbeits- und Lebenswelt integrieren.
Matthias Schultze: Welche Folgen hätte dies für die MICE-Welt in der Post-Corona-Zeit?
Stefan Rief: Zur Beantwortung diese Frage erlaube ich mir, sechs Thesen aufzustellen:
- Sowohl das Angebot als auch die Qualität von kostenfreien virtuellen Seminaren und Konferenzen werden massiv zunehmen.
- Bereits 2015 haben wir in unserem Forschungsverbund Future Meeting Space die Kurzfristigkeit von Themen als eines der wesentlichen Anforderungskriterien für zukünftige Veranstaltungen identifiziert. Die Möglichkeit, aktuelle Themen sehr kurzfristig bedienen zu können, erhöht daher weiter den Druck auf Präsenzveranstaltungen.
- Die Zahlungsbereitschaft nimmt für klassische Präsenzveranstaltungen ab. Auch die derzeitigen wirtschaftlichen Einbußen werden diese Entwicklung verschärfen.
- Zahlreiche Menschen gewöhnen sich gerade an die Nutzung virtueller Angebote. Dies wird sich auch in zukünftigen Veranstaltungsformaten äußern.
- Das Anlaufen der Wirtschaft und die in einigen Branchen erforderliche Neuausrichtung der Geschäftsmodelle, Produkte und Dienstleistungen binden Ressourcen. Vielen potenziellen Teilnehmern bleibt daher keine Zeit für längere Konferenzen mit zeitraubender Anreise.
- Doch nicht alles ändert sich: Menschen werden sich zu allen Zeiten auch real treffen wollen.
Matthias Schultze: Für wie weitreichend schätzt Du die Veränderungen in der MICE-Branche ein?
Stefan Rief: Die MICE-Branche durchläuft einen tiefgreifenden Wandel, wie ihn bereits die Medienbranche durch die wachsenden Online-Angebote seit Jahren durchläuft. Dies wird ein Sprung in die Zukunft, denn Menschen werden sich zwar weiterhin treffen, doch wir werden neue Formate, Dienstleistungen und Geschäftsmodelle erleben. Entscheidend für den Erfolg wird die vorbehaltlose Auseinandersetzung mit den Kunden- und Teilnehmerbedürfnissen sein. Letztlich entscheiden nämlich sie, ganz bewusst, wofür sie ihre wertvolle Zeit in Zukunft aufwenden möchten.
Matthias Schultze: Wie wird Deiner Meinung nach die Veranstaltung der Zukunft aussehen?
Stefan Rief: Insbesondere hybride Formate, also die Mischung aus virtuellen und realen Elementen einer Veranstaltung, werden eine wesentlich größere Rolle spielen. Virtuelle Medien erleichtern die Einbindung hochkarätiger Referenten für kurzfristige und aktuelle Themen und Konferenzen. Mit mehreren kleinen, virtuell-verbundenen Event-Locations könnten bei komplettem Veranstaltungs- und Wissenszugang dennoch Wege und Ressourcen für Teilnehmer und Experten gespart werden.
Matthias Schultze: Welche weiteren Veränderungen werden zukünftige Veranstaltungen durchlaufen?
Stefan Rief: Der Wunsch nach Aktualität und Kurzfristigkeit wird eine tragende Rolle spielen. Plattformen, auf denen Veranstalter und Planer die Verfügbarkeiten und Preise von Locations, Dienstleistungen oder Künstlern einsehen, vergleichen und direkt reservieren können, werden beispielsweise die Vorbereitung von Events beschleunigen.
Doch auch die Umsatzmodelle werden sich verändern: warum nicht für einen Privat-Chat mit einem Top-Experten zahlen oder über variable Teilnehmerbeiträge in Abhängigkeit von der Bewertung einer Veranstaltung nachdenken? Auch die Informationen bezüglich bisher eingegangener Anmeldungen könnte in der Abwägung eines potentiellen Veranstaltungsbesuchers relevant sein.
Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt und sie ist dringend nötig, um sich in Zukunft zu behaupten. Der Wandel wird nicht allen leicht fallen, doch er bietet auch viele Möglichkeiten. Ich bin gespannt auf die Zukunft und freue mich aber auch weiterhin auf das ein oder andere reale Event.