„Wir haben etwas Hybrides auf die Beine gestellt“
GCB FutureTalks #10 mit Ulrike Tondorf, Head of Live & Experience Branding, Bayer AG
Digitale und hybride Veranstaltungen können viel von Fernsehproduktionen lernen, davon ist Ulrike Tondorf überzeugt. Als Head of Live & Experience Branding bei der Bayer AG war sie für die Planung und Durchführung der ersten Online-Hauptversammlung eines DAX-Unternehmens in Deutschland verantwortlich. Im Gespräch mit Matthias Schultze teilt sie ihre Erfahrungen aus diesem Projekt.
Matthias Schultze: Die Hauptversammlung einer deutschen Aktiengesellschaft online durchzuführen, galt bisher als absolutes Novum. Im Kontext der aktuellen Corona-Pandemie hat der Gesetzgeber Ende März aber einen Gesetzesentwurf auf den Weg gebracht, um erstmals auch in Deutschland die Möglichkeit von virtuellen, beschlussfähigen Hauptversammlungen einzuräumen. Du hast das Team geführt, welches dieses Riesenprojekt das erste Mal geplant hat. Wann hat die Bayer AG entschieden, die Jahres-Hauptversammlung online durchzuführen?
Ulrike Tondorf: Die Entscheidung fiel mit dem Tag des Beschlusses. In den Tagen davor zeichnete sich ab, dass es zu einem solchen Beschluss kommen könnte. Deshalb entschlossen wir uns frühzeitig, Arbeit in dieses Projekt zu stecken. Letztlich blieben uns weniger als fünf Wochen für die Planung der Veranstaltung.
Matthias Schultze: Wo lagen die Herausforderungen von der Transformation einer geplanten Präsenzveranstaltung hin zu einer virtuellen Veranstaltung?
Ulrike Tondorf: Natürlich ändern sich nicht alle Abläufe, so dass wir von bereits Gelerntem profitieren konnten. Zudem blieben auch die gleichen Abteilungen involviert. Was sich aber änderte, das war der Fokus: Er war bedeutend intensiver! Einerseits mussten wir uns mehr Gedanken darüber machen, wie wir die Online-Präsenz sicherstellen konnten. Dies galt gerade auch mit Blick auf die Besonderheiten einer Hauptversammlung. Andererseits hielten wir die Hauptversammlung in besonderen Zeiten ab.
Dementsprechend mussten wir alle Voraussetzungen und Einschränkungen im Kontext des Coronavirus berücksichtigen. Aus diesem Grund fingen wir letztlich doch bei null an und mussten uns des Öfteren die Frage stellen: Was muss hier vielleicht noch beachtet werden?
Matthias Schultze: Aktuell hören wir häufig, dass die einfache Übersetzung von analog in virtuell kaum möglich sei. Stattdessen müssten sich Planer*innen neue Gedanken machen und neue Konzepte anwenden. Wie habt Ihr Euch an die konzeptionelle Arbeit herangewagt?
Ulrike Tondorf: Wir mussten einen ganz anderen Blickwinkel einnehmen. Bei einer Live-Veranstaltung hat man die Protagonisten auf der Bühne. Dort agieren sie und wir nehmen sie auf und übertragen entsprechend. Bei unserer Online-Hauptversammlung mussten wir allerdings jede Aktivität und jedes Wort durchplanen.
Am Ende mussten wir ein detailliertes Drehbuch erstellen. Dieses gibt es natürlich auch für Präsenzveranstaltungen, aber die genaue Überlegung der einzelnen Abläufe war hier noch wichtiger. Die Lichtplanung benötigt beispielsweise deutlich mehr an Aufmerksamkeit. Der Fokus liegt hier eher darauf, was die Nutzer am Ende im Netz sehen. Deshalb war es eher wie bei einer TV-Produktion. Zudem gibt das Drehbuch den Protagonisten aber auch die Sicherheit, das Richtige im richtigen Moment zu tun.
Matthias Schultze: Die Live-Kommunikations-Branche kann zukünftig also vielleicht auch von der TV- und Entertainment-Branche lernen, um sich konzeptionell auf virtuelle und hybride Veranstaltungsformate vorzubereiten?
Ulrike Tondorf: Absolut, das sehe ich so. Ich würde jetzt nicht sagen, dass das, was wir gemacht haben, die grundsätzliche Gestaltung eines virtuellen Events ist. Ich bin aber der Meinung, dass die Mischung zwischen einer Live-Veranstaltung und einem komplett virtuellen Event, eine gute Lösung ist.
Wir haben etwas Hybrides auf die Beine gestellt. Am Ende des Tages war es ja eine Live-Veranstaltung ohne Präsenz-Teilnehmer, welche online übertragen wurde. Deshalb können wir in der Zukunft ganz klar von TV lernen und das Wissen übertragen. Tatsächlich glaube ich, dass es auch nur so geht, denn wir müssen viel intensiver darauf achten, was am Ende auf den Bildschirmen zu sehen sein wird.
Matthias Schultze: Was waren denn die ersten Feedbacks auf eure Online-Hauptversammlung im Vergleich zu euren regulär durchgeführten Hauptversammlungen?
Ulrike Tondorf: Zunächst einmal haben es alle sehr positiv aufgenommen, dass wir versucht haben, den ursprünglichen Termin zu halten. Das zweite Feedback bezog sich auf die bei uns eingereichten Fragen. Es war eine große Herausforderung für unser Communications-Team, aber wir haben wirklich jede Frage beantwortet. Das war ein ganz wichtiger Faktor, um die Veranstaltung positiv zu gestalten.
Wir haben aber auch nur positive Rückmeldungen bekommen, dass die Übertragung sehr gut funktionierte und auch dass die von Live-Events bekannte Emotionalität bei den Zuschauer*innen ankam. Auf diese sehr positive Rückmeldung können wir auch in Zukunft bauen. Und natürlich sind wir stolz, dass die Veranstaltung so gut funktioniert hat.
Matthias Schultze: Gibt es auch Kennzahlen, die Ihr gegenübergestellt habt oder an denen Ihr messen konntet, wie erfolgreich die Veranstaltung im Vergleich zu vergangenen, analogen Hauptversammlungen war?
Ulrike Tondorf: Natürlich haben wir auch geschaut, wie viele Teilnehmer zugeschaltet waren. Normalerweise nehmen die Teilnehmerzahlen im Laufe der Veranstaltung zu und erreichen während der Rede von Herrn Baumann ihren höchsten Wert. Bei der letzten Live-Veranstaltung wurden zu diesem Zeitpunkt 3.241 Personen gezählt.
Zu einem sehr ähnlichen Zeitpunkt waren während der Online-Hauptversammlung 4.938 Personen zugeschaltet. Letztlich haben wir also online mehr Personen erreichen können. Ich weiß nicht, ob die gleichen Personen erreicht wurden, aber es war auf jeden Fall eine ähnliche Anzahl.
Matthias Schultze: Was wären Deine drei Key Learnings, die Du aus diesem Mammut-Projekt mitgenommen hast?
Ulrike Tondorf: An erster Stelle würde ich ein klasse Team nennen. Natürlich war es mit gerade einmal fünf Wochen ein sehr kurzfristiges Projekt für uns. Doch gerade deshalb mussten wir das Team schnell zusammenstellen und an einem Strang ziehen. Daraus entwickelte sich aber auch ein echt toller Teamspirit. Obwohl die meisten Branchen-Kolleg*innen sicherlich mehr Zeit haben werden, würde ich aber trotzdem dazu raten, zeitig anzufangen und die Planungen früh zu starten.
Aber, und das ist mein dritter Punkt, auch die technische Unterstützung spielt eine Schlüsselrolle. Bei uns war es die Bayer IT, die wirklich eine ganz wichtige und große Rolle gespielt hat, um zu gewährleisten, dass die Kanäle sicher sind und alles funktioniert. Zusätzlich würde ich aber auch empfehlen, aus den Erfahrungen der TV-Branche zu lernen und eine exakte Planung vorzunehmen, damit auch wirklich das Bild, der Eindruck übertragen wird, der übertragen werden soll.
Matthias Schultze: Gab es denn neue Technologien, die im Rahmen dieser Online-Hauptversammlung zum Einsatz gekommen sind?
Ulrike Tondorf: Nein, nein, letztlich haben wir nur auf gelernte Dinge und Erfahrungen zurückgegriffen. Wir haben schon immer den Redeanteil im Netz übertragen und konnten auf den dadurch gesammelten Erfahrungen aufbauen. Zwar gab es auch zusätzliche Themen, wie zum Beispiel die Fragen der Aktionäre, doch bei der Übertragung konnten wir auf bewährte Angebote setzen. Es muss aber natürlich trotzdem sichergestellt werden, dass die Leitungen auch funktionieren. Ein ganz wichtiger Punkt ist zudem, auch über Ausfallszenarien nachzudenken und entsprechende Lösungen vorzubereiten.
Matthias Schultze: Zum Abschluss noch eine Frage an Dich persönlich: Wie wird sich Deiner Meinung nach Dein Arbeitsalltag zukünftig vielleicht anders gestalten?
Ulrike Tondorf: Das ist eine spannende Frage! Ich glaube, dass es ganz wichtig ist, viel Zeit in die Überprüfung und Entwicklung von Strategien zu investieren: wie geht es weiter, welche Veranstaltungen können zukünftig noch live stattfinden und wie können hybride Veranstaltungen aussehen? Ich bin mir aber sicher, dass es auch wieder Live-Veranstaltungen geben wird.
Natürlich stellt sich die Frage nach der Anzahl und dem Timing. Die Zeit bis dahin sollten wir aber wirklich investieren, um nach Lösungen zu suchen, damit die Live-Kommunikation auch in Zukunft ermöglicht werden kann. Denn nichts ist wichtiger als weiterhin miteinander zu sprechen und die Kommunikation sicherzustellen. Ich finde es großartig, dass es diese neuen technischen Möglichkeiten gibt. Die Live-Kommunikation bleibt auch damit weiterhin ein wichtiger Faktor.